Was geschah beim PEN Berlin?

In den letzten Tagen habe ich viel gelernt. Auch einiges über Medien – und darüber will ich hier kurz etwas schreiben: Wie Medien einen gar nicht so komplexen Vorgang in ein sehr einfaches Bild pressen, in eine Modell sozusagen, um eine Geschichte erzählen zu können, die sich dramatisch anhört und die durch diese Erzählung dann auch dramatisch wird.

Kurz einmal aus meiner Sicht die tatsächlichen Vorgänge, an denen ich selbst beteiligt war. Man mag meinen, dass ich vielleicht ein Interesse daran haben könnte, die Sache für mich sehr günstig darzustellen, aber ich bin eigentlich sicher, dass niemand, der dabei war, etwas finden wird, was sich nicht so zugetragen hat, wie im Folgenden beschrieben. Wem das zu lang ist, der kann gern gleich zum Fazit springen.

Was bisher geschah

Am 1. November tagte in Hamburg die Mitgliederversammlung des PEN Berlin. Zuvor, am 18.10. erhielten alle Mitglieder die Tagungsunterlagen, unter anderem einen Antrag von Tomer Dotan-Dreyfus und anderen „auf eine öffentliche Positionierung des PEN Berlin zu getöteten Journalist:innen, Autor:innen in Gaza und im Libanon und vernichtetem Kulturgut“. Ich hätte diesen Antrag womöglich bis zur Mitgliederversammlung gar nicht wahrgenommen, wenn mich nicht irgendwann in der zweiten Oktoberhälfte Deniz Yücel angerufen hätte, offenbar um mit mir über unterschiedliche Dinge zu reden. Am Ende kam er auf diesen Antrag zu sprechen, ich gab zu, ihn noch nicht gelesen zu haben und er meinte, ich solle ihn doch mal lesen und mir eine Meinung dazu bilden. Also las ich den Antrag und war entsetzt über die Israelfeindlichkeit, die da aus jeder Zeile sprach. Ich überlegte, ob man durch Änderungsanträge irgendwie diese Einseitigkeit beseitigen könnte, merkte aber schnell, dass das nicht möglich war. Das teilte ich Deniz Yücel auch mit. Dann diskutierte ich in den nächsten Tagen mit ein paar Freunden, was man tun könnte. Einige hatten den Antrag auch schon gelesen, es kam die Idee auf, einen Antrag auf Nichtbefassung zu stellen. Zugleich wollten wir, als Initiativantrag, eine alternative Resolution vorschlagen, die deutlich machen würde, wo wir die Probleme des Antrags sehen. Einig waren wir aber darin, dass es nicht darum gehen müsste, dass unser Antrag als Resolution veröffentlicht werden würde, sondern nur, dass PEN Berlin sich nicht pauschal und ausschließlich gegen Israel positioniert.

Tatsächlich beschloss die Mitgliederversammlung den Antrag auf Nichtbefassung, allerdings nur mit aufschiebender Wirkung. Es sollte eine neue Mitgliederversammlung anberaumt werden, die sich ausschließlich mit diesem Thema befassen sollte.

Am folgenden Tag sprach ich auf dem PEN-Kongress mit einigen Leuten und es kam zu der Idee, dass man im kleinen Kreis, an dem sowohl die Dotan-Dreyfus-Gruppe als auch die Kritiker beteiligt sein sollten, eine Kompromiss-Resolution suchen sollte, einen Konsens, der für alle akzeptabel wäre, sich aber nicht in leeren Phrasen erschöpft.

Da wir zunächst nicht wussten, ob daraus etwas werden würden, waren wir nun gezwungen, unsere Sicht in einen konsistenten Antrag zu bringen. Zugleich begannen wir, die Behauptungen, die der Antrag enthielt, zu prüfen. Dort waren Namen von Personen genannt, die Opfer der israelischen Armee geworden waren und die dort als „unsere Kollegen“ bezeichnet wurden. Wo kamen diese Namen her, warum waren gerade sie ausgewählt, nach welchen Kriterien? Und hätte man dann nicht auch Namen von israelischen Kollegen nennen müssen, die durch den Terror am 7. Oktober gestorben waren? Und wer waren diese Leute, waren sie wirklich Kollegen? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen wurde uns später als „Gesinnungsgoogelei“ vorgeworfen.

Wir waren von dem, was wir fanden, erschüttert. Darunter waren Terrorpropagandisten und Hamas-Funktionäre, das alles ist dokumentiert.

Die Mitgliederversammlung wurde für den 8. Dezember anberaumt, zugleich begann der Versuch, ein Konsens-Papier zu finden. Das Board wollte, dass es sich um einen sehr kleinen Kreis handelt, der diesen Kompromiss sucht, Dotan-Dreyfus, ich und zwei Journalisten als Moderatoren. Wir schrieben Mails hin und her, es war schwierig. Am Ende gab es einen Kompromiss, dem Dotan-Dreyfus und ich zustimmten.

Auf der Seite meiner Freunde stieß das auf Widerspruch, vor allem, weil die Namen aus dem Dotan-Antrag übernommen worden waren. Die Moderatoren hatten allerdings versprochen, diese Namen noch zu prüfen. Es gab weitere Kritikpunkte. Ich persönlich halte das für normal, wenn man einen Kompromissvorschlag, an dem man nicht selbst mitgewirkt hat, zum ersten Mal sieht, kann man ihn kaum sofort akzeptieren. Ich persönlich bin auch überzeugt, dass durch weitere konstruktive Arbeit ein Konsens hätte entstehen können.

Aber dazu kam es nicht, denn am nächsten Morgen teilte Dotan-Dreyfus mit, dass er seine Unterschrift zurückziehe, weil seine Gruppe die Sache komplett ablehne und er das auch einsehen würde. Meine erste Reaktion war: Dann reiche ich den Kompromiss eben allein ein.

Allerdings habe ich dann natürlich noch einiges umformuliert, die Namen rausgenommen, einiges gekürzt und die Israelkritik sogar erweitert. Im Gespräch mit meinen Freunden entstand das, was dann „unser Antrag“ war. Wer möchte, kann die beiden Antragstexte nebeneinander legen und vergleichen und wird schnell merken, dass sie den gleichen Ursprung haben.

Dann erfuhr ich, dass der Kompromiss-Vorschlag auch eingebracht werden soll. Sogleich nahm ich mit den Autoren Kontakt auf, gab unsere Recherchen und schlug vor, dass sie die Namen aus dem Antrag herausnehmen sollten woraufhin wir unseren Antrag zurückziehen würden. Leider ging man darauf nicht ein.

So kam es zu den drei Anträgen zur Mitgliederversammlung. Meine Freunde und ich hatten aber weiterhin nicht das Ziel, unbedingt unseren Antrag durchzubringen, das Hauptziel war, den pauschal Israelfeindlichen Antrag zu verhindern, das zweite Ziel, dass PEN Berlin Terrorpropaganda nicht Journalismus nennt, indem Hamas-Leute und wüste Israelhasser als unsere Kollegen bezeichnet werden.

Deshalb wurde zuerst erneut ein Antrag auf Nichtbefassung eingebracht und begründet, dieser wurde abgelehnt.

Sodann gab es einen Änderungsantrag zu dem Antrag der Dotan-Leo-Gruppe, der natürlich etwas radikal war: Er sollten auf seine Kernaussage im ersten Satz reduziert werden, der Rest sollte gestrichen werden. Wir hätten eine kurze Resolution gehabt, die den Konsens aller ausgedrückt hätte, die anderen Anträge wären obsolet gewesen. Leider wurde dieser Änderungsantrag nicht zugelassen.

Fazit

Man sieht: Es gab über die ganze Zeit keine zwei Lager, die irgendwie mit zwei entgegengesetzten Resolutionsentwürfen aufeinanderzumarschiert wären. Es gab einen Antrag einer Gruppe, der, wenn er zur Resolution geworden wäre, PEN Berlin auf die Seite des BDS, des antiisraelischen Boykotts gestellt hätte und die Rolle des antijüdischen Terrors völlig negiert hätte. Und es gab Leute, die das verhindern wollten, und die dieses Ziel wenigstens im Wesentlichen erreicht haben. Da die Namen von Hamas-Funktionären und Terrorpropagandisten weiterhin in der Resolution standen, haben wir uns genau davon am folgenden Tag distanziert.

Aus dem PEN Berlin ausgetreten ist von uns übrigens niemand, obwohl „unser Antrag“ sogar die wenigsten Stimmen bekommen hat.

Aber eine solche längere, wenn auch nicht schwer zu verstehende, Geschichte ist für die meisten Medien, die über diese Sache berichteten, offenbar uninteressant. Besser ist, wenn man da „zwei Lager“ hat, die sich in „Grabenkämpfen“ gegenseitig vernichten wollen. Besser ist, wenn man eine Spaltung des PEN Berlin herbeischreiben kann. Richtig super, wenn man die einen als „propalästinensisch“ und die anderen als „proisraelisch“ bezeichnen kann. Das passt sich dann wunderbar in andere Erzählungen von der Spaltung der Gesellschaft ein. Also erzählt man munter etwas von zwei Gruppen, die da zwei entgegengesetzte Anträge gehabt hätten und die dann beide einem Kompromiss-Antrag unterlegen waren, weshalb dann irgendwie einige Unterlegene ausgetreten seien.

Bedenklich ist, dass diese schöne einfache aber falsche Geschichte inzwischen auch Äußerungen von Leuten unterlegt ist, die es eigentlich besser wissen, weil sie beteiligt waren, etwa dem „Offenen Brief – Wir bleiben“ oder dem Interview, das Deniz Yücel zuletzt der Süddeutschen gegeben hat. Es scheint, als würden die eigenen Erinnerungen sehr schnell von Medienerzählungen überlagert, wenn diese die Sache vereinfachen und einem selbst das Gefühl geben, auf der richtigen, der besten Seite, nämlich in der Mitte zu stehen. Das ist natürlich besonders überraschend bei Leuten, die gerade noch mit Leo und Dotan-Dreyfus zusammen einen Text unterschrieben hatten, der nun zum Glück in der Versenkung verschwindet.

Aber geschenkt. Auch das hab ich gelernt: Man muss am Schluss nicht unbedingt recht behalten in der öffentlichen Diskussion. Es genügt, das richtige getan und geschafft zu haben und dabei Freunde gefunden zu haben, die in schwierigen Zeiten zusammenhalten.