I just call…

Vorheriger Tag: Enzian und Edelweiß

Wir wanderten zurück bis ca. einen Kilometer vor Eckili-Tasch und bauten unser Zelt auf. Gegen 16:00 Uhr ging ich hinüber nach Eckili-Tasch, um Azamat anzurufen. An Stalbeks Jurte stand eine Gruppe Kirgisen, die etwas kochten. Ich ging zu ihnen und erklärte, dass ich telefonieren müsse. Sie meinten, dass man dazu um 18:00 Uhr am Militärposten die Möglichkeit hätte. Außerdem gäbe es eine deutsche Gruppe, die hätten wohl ein Satellitentelefon und wären etwa um 17:00 Uhr wieder da. Sie luden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Ich lehnte ab und erklärte, dass meine Frau im Zelt auf mich wartete. Allgemeines spöttisches Gelächter und Kommentare, die ich nicht verstand. 

Kein Prachtkerl

Ich unterhielt mich noch ein wenig mit dem Wortführer der Gruppe, er erklärte mir, dass Kirgisen und Deutsche einen Vater hätten, deutete nach oben und nannte einen Name, den ich nicht kannte. Trotzdem stimmte ich zu. Dann erzählte er, dass er als Soldat in der DDR gedient hatte, in Merseburg, und fragte mich, ob ich aus Ost- oder Westdeutschland sei, ich hielt es für klug, zu sagen, dass ich in der DDR geboren sei, nun aber im Westen lebte. Er war zufrieden. Sie würden zwischen Ost- und Westdeutschen unterscheiden. Ich erzählte, dass ich in der Schule Russisch gelernt hätte. Dann wollte er mir einreden, dass Hitler ein „Molodjez“ (Prachtkerl) gewesen sei. Ich konnte nur „Njet“ erwidern, er hat es mir wortreich erklärt, ich habe nichts verstanden und trotzdem immer wieder „njet“ geantwortet.

Nachdem ich Cornelia die Neuigkeiten überbracht hatte, kehrte ich gegen 17:00 Uhr nach Eckili-Tasch zurück. An der Brücke standen zwei Frauen und rauchten. Einer der Männer hatte mich wohl schon von weitem gesehen und kam heran, erklärte den Frauen etwas und deutete auf mich. Ich blieb stehen. Die eine sprach mich auf Deutsch, aber mit Akzent, an. Sie hieß Nina, war aus Bishkek und die Leiterin der Gruppe. Die andere, Irina, war die Besitzerin des Satellitentelefons. Nina erklärte, dass ich um 19:00 Uhr wiederkommen sollte, dann könne man von dem Berg gegenüber aus telefonieren. Dass man auch vom Militärposten aus telefonieren könne, würde nicht stimmen.

Ich kam um 19:00 Uhr zu dem großen Zelt der Gruppe, das von fünf kleinen Zelten umgeben war. Die Deutschen saßen am Tisch und warteten aufs Essen. Ich fragte nach Nina und Irina – die seien hinter dem Vorhang. Dort wurde gekocht. Nina kam heraus und ging mit mir vors Zelt. Sie erklärte mir nun, dass Irina in zwei Stunden mit mir telefonieren gehen könnte. Ich verstand, dass Irina im Moment kochen musste und mir ihr Telefon nicht einfach mitgeben wollte.  Allerdings gab ich zu bedenken, dass es in zwei Stunden dunkel sein würde und der Weg zu unserem Zelt war ein schmaler Bergpfad. Meine Versuche, zu verhandeln, waren vergeblich, obwohl ich sogar meinen Pass oder mein eigenes Telefon als Pfand dagelassen hätte. Nina diskutierte diese Idee im Zelt kurz mit Irina, kehrte zurück und versprach, dass Irina schon in einer Stunde an der Brücke auf mich warten würde.

Mit Irina auf den Berg

Tatsächlich winkte mir Irina eine Stunde später von der Brücke aus zu. Sie stapfte vor mir den Berg hinauf, dann versuchte sie, eine Verbindung zu bekommen. Das Satellitentelefon sah aus wie ein normales Smartphone. Sie wählte Azamats Nummer. Viele vergebliche Versuche, nach denen sie immer auf eine Weise „Njet“ sagte, die mich fürchten ließ, sie wolle aufgeben. Dann endlich Azamats Stimme, der mich zunächst aber nicht erkannte. Dann erklärte ich ihm, dass Tölön uns am Sonntag in Ecklili-Tasch abholen solle, aber in dem richtigen, nicht in Ken-Suu, wo er uns abgesetzt hatte. Azamat sagte zu allem „Ok“ und ich hoffte, er hatte verstanden. Glücklich bedankte ich mich bei Irina, die das mit einem etwas nachsichtig-spöttischen Lächeln beantwortete, und verabschiedete mich.

Inzwischen war es dunkel, ich hatte mit Cornelia verabredet, dass sie mit ihrer Stirnlampe im Zelt Licht macht. Ich selbst schaltete meine Stirnlampe an und stieg den Berg hinab. Tatsächlich sah ich in der Ferne den grünlich leuchtenden Punkt und hielt darauf zu. Beim Näherkommen sah ich, dass Cornelia im Innern des Zelts die Lampe unaufhörlich hin und her bewegte, sodass mir das Zelt sogar wie ein Leuchtturm entgegenblinkte.

Mathematik zur Nacht

Da wir noch nicht müde waren begannen wir, darüber nachzudenken, wie man abschätzen könnte, wie lang Wege in der Karte sind, die nicht parallel zu den Gitternetzlinien verlaufen. Wir dachten wegen des Pythagoras über Verfahren zum schriftlichen Wurzelziehen nach. Am Ende hat Cornelia sich für ein Näherungsverfahren entschieden.

Nächster Tag: Nomadentochter und Stadtjunge 


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